Wie der FSB einen TerrorismusFALL fabriziert. Repressionen gegen Antifaschisten in Russland
Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen und der Fußball-Weltmeisterschaft begannen in Russland Repressionen gegen Antifaschisten und Anarchisten. Im Herbst 2017 wurden in Pensa sechs Menschen verhaftet, manchen von ihnen wurden Waffen und Sprengstoff unterschoben. Dann haben die FSB-Mitarbeiter Antifaschisten direkt im Untersuchungsgefängnis gefoltert: Stromkabel wurden an Körperteile angeschlossen und Strom eingeschaltet, die Gefangenen wurden schwer verletzt, geschlagen und mit dem Kopf nach unten aufgehängt. Während der Folter zwangen Geheimdienstler die Aktivisten, Aussagen auswendig zu lernen darüber, dass sie angeblich eine terroristische Organisation namens „Netz“ [auf Russisch: Set‘] gegründet hätten und Mitglieder seien. Ende Januar 2018 wurden in Petersburg zwei weitere Antifaschisten verhaftet. Sie wurden ebenfalls gefoltert und verprügelt, sie wurden gezwungen, sich selbst zu beschuldigen — sie sollten bestätigen, dass sie Mitglieder von „Netz“ seien.
Pensa. Festnahmen.
Im Oktober/November 2017 wurden in Pensa fünf Antifaschisten festgenommen.
Am 18. Oktober haben Freunde festgestellt, dass Egor Zorin, ein Student an der Pensa Universität, nicht nach Hause gekommen ist. Später kam heraus, dass er zu der Zeit schon bei der Polizei und dem Geheimdienst in Gewahrsam war. Es scheint so, dass seine Aussage die formale Grundlage für die Einleitung des Strafverfahrens über eine „terroristische Gruppe“ der Antifaschisten bildet. Wahrscheinlich wurde Zorin wie auch die anderen brutal gefoltert, aber er selbst hatte seitdem keinen Kontakt mehr zu den Genossen und Journalisten. Wir wissen, dass Zorin jetzt unter Hausarrest steht, alle anderen Beteiligten aus der „Gruppe“ sind in der Untersuchungshaftanstalt [auf Russisch SIZO].
Am 19. Oktober hat Ilja Šakurskiy, ein bekannter Aktivist in Pensa, der mit Zorin zusammen in einem Jahrgang studierte, angefangen, nach Egor zu suchen. Ohne eine Spur von Zorin gefunden zu haben, fuhr Ilja nach Hause. Sofort nachdem er aus dem Bus ausgestiegen war, überrannte ihn jemand, und schon nach ein paar Sekunden schoben ihn Offiziere des FSB in einen Wagen. Sie schlugen Šakurskiy und zerrten ihm an den Haaren, sie forderten ihn auf, das Passwort von seinem Telefon zu nennen. Das Passwort hat er genannt.
Nach 20 Minuten wurde der Antifaschist in ein Gebäude gebracht, wo er schon von FSB-Offizieren erwartet wurde. Sie haben Šakurskiy gesagt, dass er verdächtig wird, für die Organisation einer terroristischen Gruppe verantwortlich zu sein. Als der Aktivist die Anschuldigungen nicht auf sich nehmen wollte, fingen sie an, ihn auf den Kopf und auf den Rücken zu schlagen, sie bedrohten ihn mit Vergewaltigung und lebenslänglicher Gefängnisstrafe. Die ganze Zeit über hörte Ilja Geschrei von jemandem aus dem Nebenzimmer. Für einen Moment kam ein Mensch mit einer Maske in den Raum, er hatte ein Tuch mit Blutspuren in seiner Hand. Jemand von den Geheimdienstlern hat den Namen „Kuksov“ genannt.
Wasilij Kuksov wurde ebenfalls am 19. Oktober verhaftet, wahrscheinlich fast gleichzeitig mit Šakurskiy. Die Ehefrau von Kuksov, Elena, kam an diesem Tag nach Hause und als sie ihren Mann nicht zu Hause vorfand, versuchte sie, ihn anzurufen. Das Telefon war eingeschaltet, aber niemand nahm ab. Nach ein paar Stunden hörte sie, dass jemand die Wohnungstür mit dem Schlüssel öffnete. Vor ihr standen zehn FSB Mitarbeiter. Einer von ihnen hielt den schwer verprügelten Wassilij am Hals fest. Der Antifaschist konnte kaum auf den Beinen stehen, seine Stirn und seine Nase waren stark verletzt und aufgeschlagen, seine Hose und Jacke waren gerissen und mit Blut beschmiert. Die Geheimdienstler durchsuchten die Wohnung und gingen raus um Kuksovs Auto zu durchsuchen.
Sie befahlen Kuksov, das Auto aufzumachen. Kuksov bemerkte sofort, dass das Schloss an der Tür kaputt war und sagte das laut. Als ein FSB-Mitarbeiter aus dem Auto eine Pistole holte, wurde klar, wer das Schloss aufgebrochen hatte und wozu — die Pistole war von dem Mitarbeiter selbst in das Auto reingelegt worden. Danach wurde Kuksov wahrscheinlich in das FSB-Gebäude gebracht. Dort wurde der Antifaschist verprügelt. Eben das waren seine Schreie, die Šakurskiy hinter der Wand hörte.
Am 27. Oktober wurde Dmitrij Pčelinzev festgenommen, als er aus dem Haus kam, um seine Oma zu begleiten. Er wurde neben seinem Auto von vier FSB-Mitarbeitern überfallen. Prügelnd haben sie Pčelinzev auf den Boden niedergeworfen und ihm den Wohnungsschlüssel entwendet.
Sie öffneten die Tür und drangen in die Wohnung ein. Während der Durchsuchung verwüsteten sie die gesamte Wohnung. Beschlagnahmt wurden Mobiltelefone, alle Informationsträger, zwei Jagd-Karabiner und zwei Pistolen. Alle Waffen waren von Pčelinzev, der als Schießlehrer arbeitete, offiziell registriert.
Nach der Durchsuchung der Wohnung gingen die Silowiki [Vertreter der Geheimdienste und Militär] herunter zum Auto (an dem die Alarmanlage kaputt war) und holten unter dem Sitz zwei Granaten hervor. Sie hatten keine große Mühe, die Granaten in ein Auto ohne Alarmanlage kurz vorher reinzulegen.
Zuerst wurde Pčelinzev, der sich weigerte, sich fälschlich zu beschuldigen, nicht geschlagen. Am nächsten Tag wurde gerichtlich angeordnet, dass er als Mitglied einer „terroristischen Gemeinschaft“ verhaftet wird. Am gleichen Tag bestellte das FSB seine Frau, Angelina, — angeblich damit sie bei dem Verhör ihres Mannes anwesend sein könne. Beim FSB wurde sie von zwei FSB-Mitarbeitern abgeholt, einer von ihnen spielte dabei bedeutungsvoll mit einer Ahle in der Hand. Der Andere sagte, dass es notwendig sei, „jemandem das Bein durchzuschießen“, damit Pčelinzev endlich eine Aussage mache.
Anfang November 2017 wurde Andrej Černov in Pensa festgenommen. Fast gleichzeitig wurde in Petersburg Arman Sagynbaev festgenommen, der danach nach Perm‘ gebracht wurde. Die Umstände von deren Festnahmen sind den Genossen noch nicht bekannt. Sagynbaev, bei ihm wurden die Rippen gebrochen, lehnt den Kontakt mit Genossen, Journalisten und Menschenrechtlern ab. Einmal bei einem zufälligen Treffen entschuldigte er sich bei Pčelinzev dafür, dass er unter Folter gegen Dmitrij und die anderen Festgenommenen mit fehlerhaften Anschuldigungen ausgesagt hat. Informationen über die Situation von Černov gibt es kaum.
Pensa. Folter
Es scheint so, dass alle verhafteten Aktivisten gefoltert wurden, aber offen und ausführlich darüber gesprochen haben bis jetzt zwei von ihnen — Ilja Šakurskij und Dmitrij Pčelinzev. Die Geschehnisse mit ihnen wurden erst im Januar 2018 bekannt, weil ihre Angehörigen zuerst Angst gehabt hatten, dass die Bekanntgabe ihre Situation nur verschlechtern könne.
Ilja Šakurskij erzählte, dass er mehrmals zum FSB gebracht und dort verprügelt wurde. Von ihm wurde verlangt, ein Geständnis darüber zu unterschreiben, dass er in der, von den Silowiki ausgedachten, terroristischen Organisation ist. Beim FSB hat er nicht nur die Schreie von Kuksov gehört, einmal hat er seinen Genossen auch persönlich gesehen, und zwar mit blutigem Gesicht. Šakurskij weigerte sich lange Zeit, ein Geständnis zu geben für etwas, das er nicht gemacht hat. Und einmal wurde er aus der Zelle geholt und in den Keller des Untersuchungsgefängnisses gebracht.
„Nach einer Weile haben mir drei Menschen mit Masken gesagt, mich zur Wand zu drehen und meine Jacke auszuziehen. In diesem Moment dachte ich: „Ich werde umgebracht“. Mir wurde gesagt, den Kopf nicht zu heben und mich auf die Bank zu setzen. Sie haben mir die Augen verbunden, die Hände gefesselt und den Mund mit einer Socke verstopf. Da dachte ich, dass sie meine Fingerabdrücke auf etwas anbringen wollen. Aber dann wurden irgendwelche Kabel an meinen großen Zehen angebracht. Als ich die erste Stromladung spürte, konnte ich das Stöhnen und Zittern nicht zurückhalten. Sie haben diese Prozedur immer wieder wiederholt, bis ich versprochen habe, das auszusagen, was sie mir sagen. Seitdem habe ich vergessen, was „Nein“ bedeutet, ich habe alles gesagt, was auch immer mir die Ermittler sagten”, — so hat Šakurskij später die Folter beschrieben. Er unterschrieb alles, was die FSB Mitarbeiter von ihm gefordert haben.
Dmitrij Pčelinzev erzählte, dass er am 28. Oktober sofort nach dem gerichtlichen Beschluss für seine Verhaftung in den Keller des Untersuchungsgefängnisses gebracht wurde. Nach ihm betraten noch sieben maskierte FSB-Mitarbeiter die Zelle. Sie befahlen ihm, sich auszuziehen. Pčelinzev wurden die Hände zusammengebunden, seine Beine wurden an einer Bank mit Klebeband befestigt, der Mund wurde ihm mit einem Stück Stoff verstopft. Ein FSB-Mitarbeiter, der weiße medizinische Handschuhe trug, holte eine Dynamo-Maschine und stellte sie auf den Tisch. Routiniert spitzte er zwei Kabel, die auf der anderen Seite an der Maschine angebrachten waren. Er befahl Pčelinzev, einen großen Zeh hervorzustrecken, und befestigte an ihm die blanken Drähte. Als er anfing, den Hebel der Dynamo-Maschine zu drehen, ging Strom durch den Körper von Dmitrij Pčelinzev. Dmitrij spürte solche starken Schmerzen, dass er brüllte und den Kopf und Rücken gegen die Wand schlug. Vorher legten die Silowiki eine Jacke zwischen die Wand und den Körper, damit der Antifaschist sich seinen Kopf nicht zerschlagen kann. Während der Folter stand einer von ihnen neben dem Opfer und kontrollierte seinen Puls. Der erste Stromschlag dauerte 10 Sekunden. Diese Zeit erschien ihm aber wie eine Ewigkeit.
Nach dem ersten Schlag bot der Ermittler Pčelinzev an, solche Wörter wie „Nein“, „Kann mich nicht erinnern“ oder „Ich weiß nicht“ zu vergessen. Dann wurde ihm wieder der Mund zugestopft und er noch vier weiter Male mit Strom gefoltert. Wegen der heftigen Schmerzen presste Pčelinzev so stark die Zähne zusammen, dass ihm die Zähne zerbrachen, sein Zungenbändchen gerissen ist und der Mund voller Blut war. Die Ermittler stopften ihm eine Socke in den Mund.
«Als ich mit Strom gefoltert wurde, hatte ich den Mund voller zerbrochener Zähne, das war, weil ich die Zähne zu stark zusammengepresst habe wegen der starken Schmerzen. Meine Zungenbändchen war gerissen, der Mund war voller Blut. Irgendwann steckte mir einer von den Folterern meine Socke in den Mund.» Dmitrij Pčelinzev
„Dann wurde ich zu Boden geworfen, beim Runterfallen, ich war ja mit einem Bein an der Bank festgebunden, verletzte ich mich sehr an meinen Knien, sie fingen an stark zu bluten. Mir wurden die Unterhosen heruntergezogen, ich lag mit dem Bauch nach unten, sie versuchten die Drähte an den Geschlechtsteilen festzumachen. Ich fing an zu schreien und zu bitten aufzuhören, mich zu misshandeln. Sie wiederholten immer wieder: „Du bist der Anführer.“ Damit sie aufhören, mich zu foltern, antwortete ich: „Ja, ich bin der Anführer.“ „Haben sie Terrorakte geplant?“ Ich antwortete: „Ja, wir haben die Terrorakte geplant.“ Einer von ihnen, der meinen Puls am Hals maß, zog mir seine Maske an, damit ich sie nicht sehen konnte. Einmal wurde ich für eine Weile ohnmächtig. <…> Nachdem sie gegangen waren, kam ein Mitarbeiter des Gefängnisses, sagte mir, dass ich mich anziehen soll und brachte mich in meine Einzelzelle”, — das erzählte Pčelinzev seinem Anwalt.
Am nächsten Tag, damit die Folter aufhörte, zerschlug Pčelinzev die Toilette und schnitt sich mit den Splittern an den Armen an den Knickstellen und am Hals. „Ungleichgültiges“ Aufsichtspersonal verarztete ihn.
In Untersuchungshaft, wo Pčelinzev über einen Monat gequält wurde, hörte er manchmal die Schreie von Arman Sagynbaev. Aus der Art des Schreiens schloss Pčelinzev, dass Arman Sagynbaev auch gefoltert wurde. Pčelinzev wurde weiter mit dem Strom gefoltert, manchmal wurde er mit dem Kopf nach unten aufgehängt. Außerdem wurden ihm manchmal Injektionen gegeben und er musste irgendwelche Tabletten schlucken. Er schrieb seiner Frau Angelina, dass es „schlimmer ist, als der Tod.“
Dmitrij Pčelinzev und sein Anwalt erzählten Journalisten über die Folter und wendeten sich offiziell an den Untersuchungsausschluss. Nach ein paar Tagen zwangen die FSB-Mitarbeiter Pčelinzev, seine Worte zu widerrufen — dem voran ging erneute Folter.
Was unterstellt der FSB den Antifaschisten?
Dank dieser Untersuchungsmethoden legten fünf von sechs Festgenommenen in Pensa ein Schuldbekenntnis ab. Nur Kuskov verweigert möglicherweise immer noch die Aussage.
Es scheint so, als bilde das gemeinsame Interesse der verhafteten Aktivisten am Airsoft-Spiel die Grundlage für den vom FSB fabrizierten Fall über die „terroristischen Vereinigung“. Sie trainierten gemeinsam im Wald und lernten zusammen Erste Hilfe und Überleben in der Wildnis. Dabei waren nicht alle Verhafteten enge Freunden (zum Beispiel hatten Pčelinzev und Šakurskiy einen längeren persönlichen Konflikt). Die Verhafteten spielten beim Airsoft sogar in unterschiedlichen Teams — das eine hieß „Sonnenaufgang“ [auf Russisch: „Voshod“], das andere „5.11“, wie eine bekannte Marke von Freizeitbekleidung. In der Version vom FSB verwendeten diese Teams die Namen als „Zellen-Namen“ der angeblich existierenden terroristischen Gemeinschaft mit dem ausgedachten Namen „Netz“. Nach der Version der Geheimdienste gab es neben Pensa auch Zellen in Moskau, Petersburg und in Belarus.
Der FSB behauptet, dass die Antifaschisten trainierten, um später bei den Präsidentschaftswahlen und während der Fußball-Weltmeisterschaft Terror-Attentate durchzuführen, mit dem Ziel die Situation im Land zu destabilisiert und die „Massen aufzuschaukeln“. Attentate sollten in den Geschäftsstellen von der Partei „Einiges Russland“, Postfilialen und bei den Sicherheitskräften erfolgen. Gegen alle Verhafteten wurde die Anklage nach Paragraf 2 des Artikels 205.4 des Russländischen Strafgesetzes erhoben (Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung).
Petersburg. Festnahmen und Folter
Sagynbaev, der Verhaftete in Petersburg, kannte viele Petersburger Aktivisten. Wahrscheinlich musste er unter Folter falsche Aussagen gegen seine Petersburger Genossen machen — unter anderem nannte er Igor Šiškin und Wiktor Filinkow. So erschienen im Fall „Netz“ noch zwei „Terroristen“.
Am Abend des 23. Januars 2018 wartete der Antifaschist Wiktor Filinkow am Petersburger Flughafen auf seinen Flug — er hatte vor, nach Kiew zu seiner Frau zu fliegen. Direkt vor seinem Flug kamen zu ihm sechs FSB-Mitarbeiter. Bald darauf wurde er mit Handschellen zu einer ärztlichen Untersuchung gebracht. Wahrscheinlich ist es eine Routine-Untersuchung, die FSB-Mitarbeiter machen, bevor sie den Festgenommenen foltern.
Nach der Untersuchung wurde er in einen Minibus gebracht, wo er sofort mit den Händen verprügelt wurde. Kurz danach spürte er einen Stromschlag. Der Körper von Filinkow richtete sich unfreiwillig auf, wegen dem unerträglichen Schmerz fing er an zu schreien. Er wurde mit Hilfe von einem Elektroschocker geschlagen. Nach dem ersten Stromschlag folgten weitere Stromschläge an den Handschellen, ins Genick, in den Rücken, ins Bein, wieder an den Handschellen und in die Leistengegend. Filikow schrie — sein Mund wurde mit einem Knebel zugestopft.
Nach 10 Minuten einer solchen Folter stöhnte er: „Sagen Sie, was ich sagen soll, ich werde alles sagen!“ Aber die Folter hörte nicht auf. Bald darauf, als Filinkow schon zu allem bereit war, zwangen ihn die Mitarbeiter des FSB, die Angaben auswendig zu lernen, dass er in einer „terroristischen Gemeinschaft namens „Netz“ sei.
Danach wischten sie sein blutendes Gesicht mit einer Mütze ab und brachten Filinkow zu ihm nach Hause für eine Durchsuchung. Anschließend fuhren sie ihn ins FSB-Gebäude. Dort erzählte er dem Ermittler die auswendig gelernten Formulierungen des Geständnisses.
Am 25. Januar wurde er nach dem Gerichtsbeschluss zum Arrest in Untersuchungshaft [SIZO] gebracht. Als die Menschenrechtler und der Anwalt zu ihm kamen, nahm Filinkow seine Aussagen zurück und erzählte über die Folter. Er zeigte den Menschenrechtlern die Spuren von der wiederholten Elektroschocker-Folter.
Am 26. Januar, drei Tage nach der Verhaftung von Filinkow, verschwand in Petersburg der Antifaschist Šiškin — FSB-Mitarbeiter nahmen ihn fest, als Igor mit seinem Hund ausging. Zwei Tage lang konnten seine Angehörigen ihn nicht finden. Vom FSB wurde behauptet, dass sie nichts über Šiškin wüssten. In Wirklichkeit wurde er in dieser ganzen Zeit von den Geheimdienstler gefoltert.
Das Gericht nahm Šiškin in Gewahrsam, während der Gerichtssitzung sah er stark verprügelt aus, FSB-Mitarbeiter deckten ihm sein Gesicht mit dem Schal ab. Šiškin unterschrieb das Geständnis.
Ärzte diagnostizierten bei ihm den Bruch des unteren Knöchels der Augenhöhle sowie zahlreiche Hämatome und Schürfwunden. Außerdem fanden Menschenrechtler bei dem Antifaschisten Spuren von Wunden von dem Elektroschocker am hinteren Teil der Hüfte, auf dem Rücken und an den Armen. Von der Folter hat er aber nicht erzählt. Nach den Angaben der Menschenrechtler war der Antifaschist sehr deprimiert. Noch davor musste er ein Papier unterschreiben, dass er alle Verletzungen während des Sportes selbst bekommen hat. Eineinhalb Wochen nach der Festnahme akzeptierte er offiziell seine Bereitschaft, mit den Ermittlern zu kooperieren.
Am Abend des 25. Januars nahmen FSB-Mitarbeiter in Petersburg den Industriekletterer Ilja Kapustin fest. Er wurde mehrere Stunden in einem Auto mit einem Elektroschocker gefoltert. Von ihm wurde verlangt, alles zu erzählen, was er über seine Antifaschisten-Bekannten wusste. Die Mitarbeiter drohten ihm, dass sie mit ihm in den Wald fahren und ihm die Beine brechen würden. Aber nach der Durchsuchung wurde er doch frei gelassen.
Solidarität. „Der FSB ist der Hauptterrorist“.
Sieben von acht Menschen aus diesem Fall gegen Antifaschisten befinden sich jetzt unter Arrest in Untersuchungsgefängnissen, wo sie immer noch einer Gefahr ausgesetzt sind.
Die Ermittlungsbehörde hat Filinkows Beschwerde geprüft: Die Geheimdienstler bestätigten die Anwendung von Elektroschockern gegen Wiktor und begründeten diese durch polizeiliche Notwendigkeit. Die Ermittlungsbehörde hat im Handeln des FSB keine Verstöße gefunden und die Einleitung eines Strafverfahrens verweigert. UPD 2 - 29.04.2018
Die Repressionen gegen die Antifaschisten wurden erst Ende Januar allgemein bekannt, als Wiktor Filinkow über die Folter erzählte. Bald danach erzählten auch Ilja Šakurskij und Dmitrij Pčelinzev über die Folter. Die Ermittlungsbehörde fing endlich an, die Vorwürfe zu prüfen — zunächst nur Filinkows Beschwerde. Es ist aber nicht klar, ob es überhaupt irgendwelche Effekte haben wird.
In ganz Russland und in vielen anderen Ländern wurden Solidaritätsaktionen für die verhafteten Antifaschisten und Anarchisten gemacht. Der Hauptslogan dieser Kampagne wurde: „Der FSB ist der Hauptterrorist“.
Neuer Angeklagter UPDate1 vom 29.04.2018
Am 1. April 2018 tauchte im Prozess ein neuer Angeklagter aus St. Petersburg auf — der 26-jährige Industriekletterer und Aktivist Julij Bojaršinov.
Julij wurde am 21. Januar 2018 festgenommen, als bei einer Dokumentenkontrolle bei ihm im Rucksack eine Dose mit Schwarzpulver gefunden wurde. Für gewöhnlich wird dieses Pulver für Pyrotechnik verwendet und fürs Signalisieren im Wald (Julian hat einen Jagdschein), doch seine Aufbewahrung ist in Russland verboten. Gegen Bojaršinov wurde Anklage nach Paragraf 1 des Artikels 222.1 des russländischen Strafgesetzbuches erhoben (unbefugtes Aufbewahren von Sprengstoff). Der Arzt im Untersuchungsgefängnis [SIZO-1], wo Bojaršinov nach der Festnahme abgeliefert wurde, hat Spuren von Schlägen im Bauchbereich, am Kopf sowie einen blauen Fleck unter dem Auge festgestellt.
Ursprünglich wurde Bojaršinov nicht mit dem Prozess über die „terroristische Organisation“ in Verbindung gebracht, es war keine Rede von seiner Beteiligung an „Netz“. Aber bald fingen die Ermittler vom FSB an, die anderen Gefangenen dieses Falles unter anderem unter Folter nach Bojaršinov zu befragen. Und so wurde am 11. April gegen Julij Anklage erhoben wegen „Beteiligung an der terroristischen Organisation „Netz“ (nach Paragraf 2 des Artikels 205.4 des russländischen Strafgesetzbuches).
Einmal in der Woche wird Julij in SIZO – 6 [Untersuchungsgefängnis] von den Ermittlern des FSB besucht (das sind dieselben, die Filinkow als Veranlasser seiner Folter identifiziert hat). Sie drohen, dass es für nur schlimmer werde, wenn Bojaršinov nicht über seine angeblichen Verbindungen zu den anderen Angeklagten des Falles sowie zu den anderen Anarchisten erzählt. Er verweigert die Aussage und beruft sich dabei auf den 51. Artikel der russischen Verfassung [der einem das Recht, nicht gegen sich selbst aussagen zu müssen, sichert].
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