Kurz zum Prozess in St. Petersburg:
In St. Petersburg wird nach einer Pause der Prozess gegen die Anarchisten Viktor Filinkov und Yuli Boyarshinov fortgesetzt, denen das FSB [Inlandsgeheimdienst der Russischen Föderation, ANm.d.Ü.] vorwirft Teilnehmer einer in Penza gegründeten „terroristischen Vereinigung“(Artikel 205 Absatz 4 Teil 2 des Strafgesetzbuchs) zu sein. Filinkov sprach über Folter durch Elektroschocker und Boyarshinov über Folterbedingungen in einem Internierungslager. Der Fall wird bei einer auswärtigen Sitzung vom Militärgericht des Moskauer Bezirks geprüft. Heute wurde Igor Shishkin vor Gericht verhört – er gab seine Schuld voll und ganz zu, schloss eine Vereinbarung mit der Untersuchung und wurde bereits zu 3,5 Jahren Gefängnis verurteilt. Shishkin sprach nie öffentlich über Folter, aber Mitglieder der zivilen Beobachtungskommission zeichneten Spuren an seinem Körper auf, die wie Verbrennungen durch elektrische Drähte aussahen. Ärzte stellten ein Bruch der unteren Wand der Augenhöhle, zahlreiche Hämatome und Schürfwunden auf.
Zusammenfassung des letzten Prozesstages:
Es wurden zwei Zeugen verhört – Andrei Evstafyev und Artur Obedkova. Sie arbeiten als Hausmeister. Im Januar 2018 nahmen beide als Zeugen an der Durchsuchung von Filinkovs Wohnung teil. Sie wurden vom FSB gebeten, als zeugen zu fungieren.
Hausmeister Evstafev gab zu, dass er nicht auf geachtet Filinkov hatte und sich nicht erinnerte, ob er Verletzungen hatte. Er erinnerte sich jedoch an den zweiten Mann – wahrscheinlich an Stepan Prokofjew, der zuvor verhört worden war. Dem Zeugen zufolge übten die Sicherheitskräfte keinen Druck auf sie aus: „Nein, welchen Druck? Einer ging in die Küche, setzte sich an die Heizung, um zu schlafen, und schlief ein. Der zweite kam, wusch sich und as. Nach seinem Verhör gab die Staatsanwaltschaft Ekaterina Kachurina den Bericht der Durchsuchung bekannt.
Der zweite Zeuge, Arthur Ubedkov, sagte kaum etwas und konnte sich kaum auf den Beinen halten. Er sagte, dass er während der Durchsuchung beide gesehen hätte: Filinkova und Boyarshinova. Er konnte sich nicht an das genaue Datum der Durchsuchung erinnern. Als er die Wohnung betrat, sah er Prokofjew auf dem Boden liegen: “Ich weiß nicht, vielleicht die Polizei ihn …”. Die Polizisten suchten laut Ubedkov nach Waffen, “sie wühlten herum, schauten in Taschen, schleppten die Taschen raus”. Infolgedessen wurden Laptops, Telefone und Flash-Karten aus der Wohnung beschlagnahmt. Am Ende wurde den Zeugen “mehrere Papiere zum Unterschreiben gegeben”.
Beide Zeugen bestätigten ihre Aussage bei der Untersuchung. Danach vertagte sich das Gericht bis zum 14. Mai.
Prozesstag fünf:
Als der wichtigste Zeugen der Staatsanwaltschaft spricht der Anarchist Igor Shishkin, der seine Schuld bereits voll eingestanden hatte, sich mit den Ermittlungen geeinigt hatte und schon zu 3,5 Jahren Haft verurteilt wurde.
Vor Beginn des Verhörs verliest die Staatsanwältin Ekaterina Kachurin einige der Unterlagen über die Inhaftierung von Viktor Filinkov und Yuli Boryashinov. Rechtsanwalt Viktor Cherkasov erinnert daran, dass ein erheblicher Teil des Materials in dem Fall von dem FSB-Mitarbeiter [FSB – Inlandsgehimdioenst der russischen Föderation, Anm.d.Ü.] Konstantin Bondarev zusammengestellt wurde, der laut Filinkov an Folter beteiligt war – und daher unzulässige Beweise sind.
Alle Daten, die die Untersuchung auf Filinkovs Festplatten fand, sind Fotos seiner Frau Alexandra Aksenova, die laut einem der FSB-Berichte „als Vorsitzende der Zusammenkunft des “Netzwerks” fungierte“ und eine Wohnung dafür gemietet hatte. Laut Material identifizierten andere Angeklagte sie auf einem Foto als Person, die sie unter dem geheimen Namen Olga kannten. Rechtsanwalt Cherkasov stellt fest, dass alle Protokolle in gleicher Art und Weise formuliert sind und Aksenov unter anderem an ihrer Ohrform identifiziert wurde, obwohl diese auf dem Foto von einem Haarschnitt verdeckt werden. Und alle Protokolle wurden vom Ermittler Bondarev ausgestellt.
– Wir betrachten den Fall von Aksenova nicht, wir brauchen ihn im Prinzip nicht. Aksenovs Prozess ist nicht interessant“, bemerkt Richter Roman Muranov.
Igor Shishkin erzählt vor Gericht, dass er Filinkov durch seine Frau Aksenova kennengelernt hat und Boyarshinov bereits vorher aufgrund des gemeinsamen Interesses für anarchistische Ideen kannte. Die Angeklagten sagen, dass sie sich nur oberflächlich kennen. Filinkov merkt an, dass Shishkin Gründe für seine Verleumdung hat, da er den Vorverfahrensvertrag unterschrieben hat und sich innerhalb seines Rahmens halten muss. Shishkin zufolge befinden sich die Zellen des Netzwerks in St. Petersburg, Pensa und Moskau. Während des Trainings diskutierten sie den Stand der Dinge im Land, dass sie instabil sei, und dass man am Beispiel der Ukraine eine Krise der Macht beobachten kann, und im zuge dessen einige undurchsichtige Kreise, einschließlich der militarisierten Nazis, Macht bekommen haben. Und sie übten während des Trainings nd übten verschiedene Fähigkeiten aus – in der Regel Erste Hilfe und industrielles Bergsteigen. Laut Shishkin zeigte er während der Ermittlungen alle Trainingsplätze. Beim Trainings nutzten nutzen sie Modelle von Kalaschnikow-Sturmgewehren und Airsoft-Waffen. Das Training ging tagsüber. Er stellte klar, dass das Training auch mit der Tatsache zusammenhing, dass sie alle “mit physischer Nazi-Gewalt unterschiedlicher Art konfrontiert sind”. Ihm zufolge gab es eine Rollenverteilung in der Gruppe – er war Sanitäter und Boyarshinov, der mit ihm in der selben Gruppe namens „Jordan“ (alias „SPb-1“) war, war ein Sappeur und Ingeneur. Und Filinkov war ein Verbindungsmann in einer anderen Gruppe namens „Mars“. In der Zeit sah er Filinkov nur ein paar Mal. Den “Kodex” habe er gesehen und flüchtug gelesen und beschriebt es als eine Sammlung von Thesen, auf dem Niveau einer Diskussion. Mit Boyarschinov habe er darüber diskutiert, und seien teilweise nicht der gleichen Ansicht gewesen. Ob Filinkov das Dokument kennt und ihm zustimmt, weis Shishkin nicht.
Anwalt Cherkasov merkt an, dass die Teilnehmer antifaschistischen Turniere und andere Veranstaltungen, die Shishkin organisiert hat, auch Spitznamen verwendeten und
dies in diesem Umfeld eine gängige Praxis ist und keine „Verschwörung“ bei kriminellen Aktivitäten bedeutet.
– Der Zweck des “Netzwerks” war der Sturz des bestehenden Systems? – fragt der Rechtsanwalt Cherkasov.
– Wenn es sich so aus den Unterlagen ergibt, die dem Fall beigefügt sind. – sagt Shishkin.
Nachdem Cherkasov bittet das Material einzusehen, welches im Zusammenhang mit der Weigerung, ein Verfahren wegen der Anwendung von Gewalt gegen Shishkin nach seiner Verhaftung einzuleiten, fragt der Richter ihn:
– Wurden bei Ihnen Methoden der Beeinflussung, gewaltsam, oder Folter angewendet? Haben Sie freiwillig ausgesagt?
– “Der Ermittler führten ihre Ermittlung durch, nach der keine Methoden auf mich angewendet wurden”, antwortete Shishkin rationalisiert.
Das Gericht erlaubte nicht, das Protokoll seiner Befragung durch den FSB-Mitarbeiter Bondarev offenzulegen, das laut den Unterlagen 25 Stunden mit kurzen Pausen dauerte.
Nachfragen von Filinkov in Richtung unter Folter erpresste Aussagen werden vom Gericht nicht stattgegeben.
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