Am 21. Januar fanden in Moskau öffentliche Anhörungen im Fall “Netzwerk” statt. Die Eltern der Angeklagten enthüllten zuvor unbekannte Tatsachen. So könnte es sich bei einem ehemalige Nationalisten um einen in den Kreis der Antifaschist_innen eingeschleusten V-Mann handeln. Außerdem drohte ein FSB-Beamter (Inlandsgeheimdienst der Russischen Föderation, Anm.d.Ü.) damit in der Untersuchungshaftanstalt die Information zu verbreiten, dass der Angeklagte Ilya Shakursky angeblich ein Pädophiler wäre, wenn gegenüber dem NTV (russischen Nachrichtensender, Anm.d.Ü.) nicht die gewünschten Kommentare geäußert werden.
Bei der Anhörung äußerte Svetlana Pchelintsev, die Mutter des angeklagten Dmitry Pchelintsev, die Vermutung, dass sich eine V-Person in die Gemeinschaft eingeschleust hat. Nach ihren Angaben versuchte der Mann, der sich Vlad Dobrovolsky nannte, bereits vor der Verhaftung von Ilya Shakursky – einer anderen Person, die in den Fall verwickelt war – mehrmals, ihn zu mehrdeutigen Gesprächen zu führen. Zum Beispiel hat Dobrovolsky beharrlich mit Shakursky über den bewaffneten Widerstand und Gewalt gegen Polizeibeamte diskutiert. Die Frau stellte fest, dass die Aussage von Dobrovolsky in den Materialien des “Netzwerk”-Falls erschienen ist. Es ist bekannt, dass er vorher in der penzaer nationalistischen Community war.
Dmitry Dinze, der Anwalt von Igor Shishkin, der einen Deal mit der Untersuchung gemacht hat, schrieb auf Facebook, dass es insgesamt drei vertrauliche Zeug_innen gibt.
Die Mutter von Ilya Shakursky, Elena Bogatova, erzählte bei der Anhörung von den Drohungen, die sie vom FSB-Beamten Wjatscheslaw Shepelew erhalten hatte. Laut Bogatova forderte der Mann von ihr „richtige Kommentare“ gegenüber Journalist_innen von NTV, und untersagte ihr, die Existenz einer terroristischen Gemeinschaft zu bestreiten und auf der Unschuld ihres Sohnes zu bestehen. Ansonsten würde Shepelev, in der Untersuchungshaft die Information verbreiten, dass Shakursky angeblich ein Pädophiler wäre.
Zuvor berichtete Bogatova, dass Journalist_innen nicht nur an Shakurskys Beteiligung an einer Organisation interessiert waren, sondern auch an ihrer Zusammenarbeit mit Menschenrechtsverteidiger_innen. Die Journalist_innen bestanden darauf, dass sie in die Kamera sagen soll, dass diese (Menschenrechler_innen) sie zu bestimmten Handlungen leiten. Laut Bogatova beteiligte sich der FSB-Beamte Shepelev auch an der Hausdurchsuchung des Angeklagten. Bogatova sagte, dass der Beamte, sobald er die Wohnung betrat, den Mitarbeiter_innen sofort sagte: “Schauen Sie unter das Sofa.” Dort fanden sie Waffen, die angeblich Shakursky gehörten.
In der Anhörung erklärten die Eltern der Angeklagten, dass keine biologischen Spuren der Angeklagten an den beschlagnahmten Waffen gefunden wurden. Spuren konnten nur am Pfefferspray, das bei Shakursky gefunden wurde, nachgewiesen werden, welches von der Untersuchung als improvisiertes Sprenggerät bezeichnet wurde. Bogatova geht jedoch davon aus, dass die Spuren auch übertragen worden sein können, nämlich von dem Isolierband, mit dem Shakursky während der Folter festgebunden wurde. Zuvor hatte der Angeklagte erklärt, dass Vyacheslav Shepelev ihn gefoltert habe. Shakursky berichtete, er wurde in einen Keller gebracht, gezwungen, sich auszuziehen, ihm wurden Elektroden an die Fingerspitzen angelegt und Stromschläge verpasst. Laut Bogatova hat Shepelev dem Angeklagten persönlich mit Vergewaltigung gedroht.
Alexei Polikhovich, ein Teilnehmer der Anhörungen, sagte, dass NTV-Journalist_innen zu der Veranstaltung gekommen sind. Ihm zufolge stellten sie Fragen zum Fall “Neue Größe” und fragten, warum Menschenrechtsaktivist_innen Terrorist_innen helfen. Die Journalist_innen versuchten auch, die Eltern der Angeklagten zu interviewen.
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